Aktualisiert am 24. April 2020 von Karin Schwaer

Aktualisierung April 2020: Das Start-up ist zwischenzeitlich unter der Bezeichnung „Evermood“ am Markt aktiv.

Eine Vertrauenskultur schaffen mit dem „digitalen Assistenten“ von Lytt? Wie soll das gehen? Und warum ist das Konzept von Lytt für qualifizierte und im Job erfolgreiche Frauen UND ihre Arbeitgeber interessant?

Spannende Fragen, denen wir im folgenden Interview nachgehen werden: 

Karin Schwaer von „GEHALTS SPRUNG für „Sie“! im Interview mit Lara von Petersdorff-Campen, Gründerin von Lytt – dem digitalen Assistenten, der ein offenes Ohr für MitarbeiterInnen in schwierigen Situationen im Unternehmen hat. 

Karin: Hallo Lara, zusammen mit Marvin Homburg hast du Lytt gegründet. Magst du dich kurz vorstellen und uns vielleicht auch ein wenig darüber erzählen, wie es dazu kam, dass du dich auf das „Abenteuer: Start-up-Gründung“ eingelassen hast?

Lara: Marvin und ich haben zusammen studiert und bereits nebenher einige Projekte zusammen auf die Beine gestellt. Dann habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass es als junge Frau im Berufsleben schwer fallen kann, unangenehme Situationen offen anzusprechen. 

Also haben wir uns mit dem Thema Diskriminierung näher beschäftigt und untersucht, wie wir Unternehmen beim Aufbau von Strukturen unterstützen können, welche die Situation für Betroffene verbessern. 

Mitarbeitende sollten ohne Angst vor Benachteiligung in allen Situationen Hilfe erhalten können. Da für uns beide schon sehr früh klar war, dass wir nicht in das klassische Muster “Arbeitnehmer” passen, haben wir angetrieben von unserer Vision die beste Idee in die Tat umgesetzt.

Karin: Und daraus ist dann Lytt entstanden. Auf eurer Webseite steht: 

„Wir sind die Andersdenkenden und die Innovatoren der Arbeitswelt von morgen“.  

Erzähl doch mal bitte, was Lytt besonders macht und in welchen „schwierigen Situationen“ Lytt konkret zum Einsatz kommt? 

Lara: Wir möchten Organisationen dabei unterstützen, verantwortungsvoller mit Themen wie Belästigung, Diskriminierung und Mobbing umzugehen. Aber auch Probleme in Tabubereichen wie psychische Gesundheitsgefährdung oder interpersonelle Konflikte schwelen häufig lange, bevor sie angesprochen werden. 

All diese Situationen belasten Mitarbeitende enorm, worunter ihre Zufriedenheit im Unternehmen und das Arbeitsklima leiden. 

Mit Lytt bieten wir einen anonymen Kommunikationsweg an, damit Betroffene, aber auch Menschen, die eine solche Situation beobachten, sich früher und ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu Wort melden und Hilfe erhalten können.

Karin: Was passiert, wenn Unternehmen diesen Themen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit widmen?

Lara: Dazu gibt es eine Reihe an aufschlussreichen Studien: 

Nach solchen Fällen verdoppeln sich die Krankheitstage der Betroffenen und die Produktivität sinkt um 30 Prozent. Man nimmt an, dass beispielsweise jeder Mobbingvorfall Unternehmen im Schnitt 25.000 Euro kostet. 

Außerdem sind 80 Prozent der Mitarbeiterinnen bereit, zu einem Unternehmen zu wechseln, das sich stärker für Geschlechtergerechtigkeit engagiert. Gerade wenn Arbeitgebende also ihre qualifizierten Frauen halten und fördern möchten, kann Lytt ein wichtiger Hebel sein.

Karin: Das klingt sehr überzeugend. Ich persönlich glaube, dass die Schäden noch deutlich höher sind, als es die Zahlen ausdrücken. Doch zurück zu Lytt. Welche Vorteile hat es, ein „digitales Tool“ für diese Themen einzusetzen? 

Lara: In erster Linie macht es den initialen Schritt viel leichter, diese Probleme anzusprechen. 

Gerade im professionellen Kontext kann es mindestens unangenehm, wenn nicht sogar beängstigend sein, sich jemandem anzuvertrauen. Oft sind sich Betroffene nicht sicher, ob ihre Meldung überhaupt relevant ist. Und häufig fürchten Mitarbeitende negative Konsequenzen aus dem persönlichen Gespräch mit der Führungskraft. 

Deswegen bringt zum einen die garantierte Anonymität viel Sicherheit, aber zum anderen auch die generelle Niederschwelligkeit. Der Griff zum Hörer oder das direkte Gespräch fallen oft besonders schwer. Eine digitale Lösung eröffnet einen Schutzraum, in dem ich volle Kontrolle darüber habe, wann ich den nächsten Schritt gehe.

Karin: Wie kann sich der Einsatz von Lytt tatsächlich auf die Vertrauenskultur in einem Unternehmen auswirken? 

Lara: So eine Vertrauenskultur ist natürlich ein komplexes System. Wir verwenden übrigens auch oft den Begriff der Speak-up Kultur, also eine vollkommen angstfreie Umgebung, in der Mitarbeitende sagen können, was sie wirklich denken. 

Neben den verschiedenen Kommunikationswegen müssen dabei auch die eigentlichen Prozesse im Umgang mit Meldungen und Feedback klar definiert und vor allem auch transparent kommuniziert werden. 

Das Management muss wissen, wer in welchen Fällen eingebunden und informiert wird. Und die Mitarbeitenden müssen darüber aufgeklärt werden, wie mit ihren Meldungen umgegangen wird und was kritisches Verhalten ist.

Wir merken, dass schon die Einführung von Lytt als niederschwelliger Kommunikationsweg ein klares Zeichen an die Mitarbeitenden sendet:

Es ist ausdrücklich erwünscht, Konflikte rechtzeitig anzusprechen. Der Kulturwandel soll aktiv angestoßen werden und die Geschäftsführung setzt sich klar für eine integrative Vertrauenskultur ein. 

Karin: Was sind die größten „Bedenken“, auf die ihr bei euren Gesprächen mit Arbeitgebern stoßt? 

Lara:
Lytt darf nicht zum digitalen Meckerkasten werden, davor haben viele Unternehmen Angst. 

Andererseits ist es natürlich gut, wenn mehr Meldungen eingehen als zuvor – das bedeutet nämlich, dass die Mitarbeitenden langsam Vertrauen fassen. Und jeder Hinweis, auch wenn er anonym eingeht, ist besser als die bisherige Kultur „Blackbox“. 

Wir arbeiten auch mit vielen Experten aus dem Arbeitsrecht, der Psychologie oder Diversity Beratungen zusammen, um die Unternehmen bei der Lösung der aufkommenden Probleme unterstützen zu können.

Karin: Euer Fokus liegt auf psychischen Belastungen der Mitarbeitenden, beispielsweise auch nach einer sexuellen Belästigung. Dieses Problem betrifft wohl deutlich häufiger Frauen. Was tun Mitarbeiterinnen, die sich mit dem Problem allein gelassen fühlen? Wie kann sich die Situation zukünftig durch den Einsatz von Lytt verbessern? 

Lara: Nach der Meldung einer Diskriminierung oder Belästigung erleben 60 Prozent der Betroffenen Bagatellisierung, Verharmlosung oder ihnen wird eine Mitschuld zugewiesen. Kein Wunder also, dass mehr als die Hälfte dieser Fälle verschwiegen werden. 

Die Angst, Unsicherheit und Scham nach einer solchen Situation wird verstärkt durch die Furcht vor negativen Konsequenzen für die eigenen Karriere. 

Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Jobwechsel bei Frauen nach einer Belästigungssituation um das 6,5-fache ansteigt. Mitarbeiterinnen verlassen also lieber das Unternehmen, anstatt diese Vorfälle zu melden.

Lytt unterstützt Betroffene, aber auch Beobachter*innen dabei, das eigene Risko bei einer Meldung zu minimieren. Anonym um Hilfe zu fragen oder die Wahl zu haben, sich keinen Rückfragen aussetzen zu müssen, kann eine Erleichterung in einer ohnehin schwierigen Situation bedeuten.

Karin: 

Frauen könnten doch bei ihren Arbeitgebern proaktiv die Einführung von Lytt anregen und mit guten Argumenten Vorbehalte ausräumen würde ich sagen. 

Vielleicht erklärst du nochmal konkret, wie Lytt in der Praxis funktioniert?

Lara: Für Mitarbeitende sieht Lytt aus wie ein normaler Chat. Sie können auf einfache Fragen antworten und so erzählen, was vorgefallen ist oder bereits erste Hilfe erhalten:

Lytt Chat

Lytt Chat

 

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, mit einer echten Vertrauensperson in Kontakt zu treten, um weitere Schritte zu besprechen oder auf Rückfragen zu antworten. Diese Vertrauensperson wurde vom Unternehmen bestimmt und kann entweder ein*e Expert*in von uns oder eine geschulte Person aus dem Unternehmen sein:

Dialog mit einer Vertrauensperson.

Danach wird ihr Anliegen anonymsiert und ist später durch eine Fallnummer und eine PIN einsehbar.

Alle Meldungen werden in einem Case Management System gesammelt und können dort bearbeitet werden. Viele Fälle können von Lytt direkt im Chat durch Hilfe zur Selbsthilfe abgedeckt werden. Bei schwerwiegenden Problemen kann die Vertrauensperson im Austausch die nächsten Schritte besprechen, beispielsweise ein klärendes Telefonat vereinbaren oder ein Mediationsgespräch einberufen.

Unternehmen sehen alle Anliegen auf einen Blick und können auf verschiedene Hilfestellungen in der Bearbeitung zurückgreifen:

 

Dashboard Lytt

Dashboard Lytt

 

Karin: Liebe Lara, das war sehr aufschlussreich, vielen Dank dafür.

Ich freue mich sehr über die vielen spannenden Ideen in der Start-up-Landschaft, der Arbeitswelt von morgen mit allen Chancen und Herausforderungen zu begegnen. Und ich hoffe sehr, dass ihr viele Unternehmen davon überzeugen werdet, diesen Weg mit euch zu gehen. Wir haben gesehen, es gibt sehr viele Argumente, die dafür sprechen. 

Ein weiteres Thema, das mittlerweile in aller Munde ist, ist das Thema „Employer Branding“. Es ist selbstredend: Eine Vertrauenskultur zu schaffen wird sich auch positiv auf das Image eines Unternehmens auswirken.

Arbeitgeber, die nun denken: Ohh, das sollten wir uns mal näher ansehen, erfahren in Teil 2 dieses Interviews,  warum „Employer Branding“ in aller Munde ist und wie Lytt auch dieses Thema unterstützen kann. 

Und zum Schluss noch unsere Botschaft für qualifizierte und im Job erfolgreiche Frauen: 

Denken Sie nun, alles schön und gut, doch mein Arbeitgeber ist nicht „offen“ für Verbesserungen in Bezug auf die Vertrauenskultur?

Dann fragen Sie sich ernsthaft, ob Sie dort bleiben wollen. Beschäftigen Sie sich intensiv mit Ihren Alternativen. Und sollten Sie einen Jobwechsel in Erwägung ziehen, erkundigen Sie sich, wie ein potentieller Arbeitgeber mit diesen zweifelsfrei noch immer vorhandenen Diskriminierungen umgeht.

Verkaufen Sie sich nicht unter WERT. Wir wünschen Ihnen ganz viel Erfolg dabei!

Zu Lytt gibt es in diesem Blog noch ein weiteres sehr spannendes Interview mit dem Co-Gründer Marvin Homburg zum Thema: Employer Branding: Mit Lytt dem Fachkräftemangel begegnen

Interview_Lytt_Gehaltssprung_Marvin_ Homburg_Karin Schwaer_EmployerBranding